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Einreisesequenz abgeschlossen

Ihr glaubt nicht, wie froh ich bin, heil angekommen zu sein. Danach sah es zunächst nicht aus. Aber von vorne.

Gestern um kurz nach Elf, ich hatte mich von meinen Großeltern, dem Hund und den Meerschweinchen verabschiedet, sind wir mit dem Zug zum Flughafen gefahren. Beide Koffer abgegeben und noch einen letzten Ess-Stopp gemacht, bevor ich mich von meiner Familie verabschieden musste. Das war für mich sehr traurig und hat mich auch mit Angst erfüllt, denn bisher habe ich nicht eine Flugreise allein bewältigt. Aber selbst mein Vater hätte mir nicht helfen können, als ich einen anderen Sitzplatz als gebucht bekommen habe, weil das Flugzeug voll war. Der neue Sitzplatz war zwar in der Premium Economy-Class und hat meinen Beinen etwas mehr Platz beschert, allerdings ging von da an alles nur noch mehr durcheinander, nachdem ich unerwarteter Weise schon beim Einchecken in Deutschland alle Unterlagen rauswühlen musste. Denn meine Mitfliegerin saß jetzt an ihrem richtigen Platz, umgeben von ein paar anderen, die auch nach Neufundland geflogen sind, und ich saß weiter vorne allein.

mein Mittagessen; Nudeln mit Tomatensauce, Salat, Brötchen, Kuchen. War sogar ganz lecker…

Nach dem acht Stunden langen Flug nach Montreal, während dessen ich zwei Filme geguckt und zwei Mahlzeiten fast vollständig bis auf den Shrimp Cocktail gegessen hatte, mussten ich die Immigration durchlaufen. Eigentlich sollte ich dafür erst eine Zollerklärung machen, das Study Permit vorlegen, um das Visum zu bekommen, den Corona Test machen, mein Gepäck durch den Zoll schieben und wieder auf ein Band für den neuen Flug legen und dann neu einchecken. In weniger als 3 Stunden. Wovon ich eineinhalb nur auf das Visum gewartet habe.

Wie also zu erwarten war, kam ich in extremen Zeitstress. Und alle Informationen, die die anderen weiß Gott woher hatten oder im Gegensatz zu mir einen Mitarbeiter gefunden haben, bekam ich nicht mit, weil wir getrennt waren. Aber nicht nur mussten wir am Ende auf einmal keinen Test machen, dessen Suche Zeit gekostet hat, sondern mussten wir auch die Koffer nicht neu abgeben, anders als es ausdrücklich überall beschrieben und sogar im Flugzeug gesagt worden war. Die Suche nach den Koffern hat mich auch meinen kleinen Vorsprung gekostet, den ich durch meinen weiter vorne gelegenen Sitzplatz im ersten Flug hatte. Bevor ich fast durchgedreht war, weil ich meine Koffer nicht fand, hatten mich gottseidank die anderen gefunden und mir gesagt, dass es nicht mehr nötig war. Da mussten wir dann auch schon rennen. Bei der Sicherheitskontrolle hatte ich eine Oma im Rollstuhl zwischen mir und den anderen, die als sie fertig waren natürlich schon wieder weiterlaufen mussten, wodurch ich aber wieder allein dastand. Auf dem Ticket standen nur die Flugnummer und mein Sitzplatz, und die mit französischem Akzent meinen Namen ausrufende Stimme aus den Lautsprechern hat mir auch nicht geholfen. Ich habe Papa angerufen, bin gerannt, fast meine Kopfhörer verloren, hab mich einmal verlaufen und stand fast 20 Minuten nach dem Boarding schweißüberströmt und weinend vor dem Schalter. Sie hatten auf mich gewartet. 

Das zweite Flugzeug war viel kleiner und enger, aber ich hatte zum Glück einen Fensterplatz, wodurch ich nicht nur die Landschaft verfolgen konnte, sondern mich auch an die Wand anlehnen konnte, um zu Schlafen zu versuchen. Und in Saint Johns konnte ich dann endlich den schweren Rucksack der Reise abnehmen, meine Gasteltern begrüßen und in mein neues Zuhause fahren. Meine Gastmutter mussten wir dann sofort wieder im Hotel abgeben, in dem sie die Kinder, die Quarantäne machen müssen, betreut, weswegen ich jetzt die ersten Tage nur mit meinem Gastvater verbringe. Heute haben wir erst eine Stadttour mit dem Pick-up gemacht, mein Gastvater hat mir die Schule und andere wichtige Gebäude in Carbonear gezeigt, und dann eine Geländetour mit einem sogenannten „Side-by-side“, ein quadähnliches Fahrzeug mit drei Sitzen. Wir sind etwas den Berg hochgefahren, der an der Bucht liegt, und ich habe von oben und immer wieder auf dem Weg die wunderschöne Landschaft genießen können. Es ist wirklich atemberaubend und furchtbar schade, dass es sich mit Bildern nicht einfangen lässt. Hier trotzdem ein paar. 

Die Landschaft ist fast Tundra artig, aber eher von der Beschaffenheit und dem dünnbuschigen Bewuchs des unteren Bodens her; Bäume, vor allem Nadelbäume, gibt es nämlich schon. Und überall wachsen Blaubeeren. Wenn man von der Straße in das trockene Flussbett abfährt, wo wir heute waren, ist die ganze Fläche voll davon. Sehr lecker! 

Und tatsächlich durfte ich das Side-by-side auch mal fahren. Das war soo cool, ich bin noch nie Auto oder etwas ähnliches gefahren. Man musste nur ein Gefühl für das Gaspedal bekommen, dann war es richtig leicht. 

Außerdem haben wir noch ein Fahrrad für mich fertig gemacht, das hatte meine Gastfamilie mal extra für die Austauschschüler angeschafft und wir haben es aufgepumpt und eingestellt. Damit kann ich mich jetzt auch eigenständig bewegen, falls ich mal extremen Bewegungstrieb habe; so leicht machen es mir die Berge hier nämlich nicht.

Zum fast-Abschluss des heutigen Tages, der sich vor Ereignissen nicht mehr retten kann, war ich in der Mall von Carbonear. Mein Gastvater, der keine Malls mag, hat mich abgesetzt und eine Stunde später wieder abgeholt, und ich habe mir erstmal Walmart angesehen, einen Blaubeer-Muffin bestellt und ein paar Unterhosen und einen Block gekauft. Die haben hier komischerweise nur drei Löcher.

Und die Menschen hier bedienen wirklich ihr Klischee; Alle, denen ich begegnet war, waren sehr nett und zuvorkommend. Zum Beispiel bei der Bank:  ich wollte ich erstmal meine US$ eintauschen, um etwas bezahlen zu können, hatte aber natürlich meinen Pass vergessen. Die Frau hat dann sofort aus dem Nichtvorhandensein einer Bankmitgliedskarte festgestellt, dass ich Austauschschüler sein musste, hat mich gefragt, bei wem ich wohne (bei diesem Dorf kannte sie meine Gastmutter natürlich) und hat mir das Geld dann auch so gegeben. Welches übrigens sehr farbenfroh ist. 50er sind rot, 20er grün, 10er lila und 5er blau. Und darauf sind wie auf den Münzen verschiedene kanadische Motive, wie Eishockeyspieler, Bieber, Elche und natürlich die Queen. 

Morgen kommt ein Hurrikane namens Larry mit ungefähr 150 km/h über Neufundland, weswegen es heute im Fernsehen um nichts anderes geht. Das scheint hier öfter zu sein, manchmal auch stärker, jedenfalls sind alle etwas beunruhigt. Wir haben schon Kerzen, Feuerzeuge und Taschenlampen gesucht, falls der Strom ausfallen sollte. Drückt uns die Daumen, dass nichts kaputt geht und niemand zu Schaden kommt…

Das war‘s von mir von heute. Es ist viel passiert. Ich bin gespannt, was die nächsten Tage alles kommt… Am Montag startet die Schule schon.

Viele Grüße aus dem „wahren Norden“, euer Thiglu